TRAINING
Stop the streak?!
Täglich-Laufen ohne Pause ist in. Der "Advents-Streak" ist gerade vorbei, da geht’s schon mit dem "Januar-Streak" weiter. „Sportmedizinisch betrachtet sind Streaks Mist“, sagt Laufexperte Dr. Marquardt, „aber ich kann verstehen, dass viele Spaß daran haben.“ Was sind die Pro & Cons des Streakens und wie macht man's richtig?
Es ist wieder soweit. Das neue Jahr hat begonnen, die neue Dekade sogar, und wie jedes Jahr versuchen Menschen durch gute Vorsätze, das Beste aus sich herauszuholen. Die Fitnessstudios sind voll, Eiweißshakes werden gerührt, Schnitzel gegen Tofu getauscht und für das regelmäßige Lauftraining wurden – anders kann man heute leider keinen Sport betreiben – 350 € in eine Sportuhr und 400 € in Laufschuhe, Jacke, Trikot und Hose investiert. Was daraus in aller Regel wird, ist bekannt. Da ein echter Läufer aber schon mindestens 2000 € in Schuhe, Jacken und Uhren investiert hat, muss er auf anderem Wege das Beste aus sich herausholen.
New York oder die Flucht auf die lange Distanz
Als erstes wäre hier die Anmeldung für Tokio-, New York- oder London-Marathon zu nennen. Sind diese Prestige-Rennen aufgrund von Flugscham, leerem Konto oder Buchungsstatus nicht umsetzbar, so bleibt nur noch der 87 km Ultra-Trail mit 5.000 hm bei 3 Grad und Regen durch irgendein deutsches Mittelgebirge. Ihr kennt ja die Flucht auf die lange Distanz: Je weniger ich läuferisch auf die Kette kriege, desto länger, bergiger und matschiger muss das Rennen werden, um den Bürokollegen in den 2020ern noch ein „Wow“ zu entlocken.
Hauptsache zwischen 0 und 24 Uhr
Sie haben weder Bock auf das eine, noch auf das andere, aber irgendetwas lebensveränderndes, Instagram taugliches muss am Anfang des Jahrzehnts dennoch her? Kein Problem. Für diese Situation ist Streak-Running wie gemacht. Streak-Running ist, wie soll es anderes sein, eine amerikanische Erfindung. Die „United States Running Streak Association“ wurde laut Wikipedia 2000 gegründet und vereinigt Läufer, die möglichst lange Serien täglicher Läufe absolvieren möchten. Das Regelwerk sieht für die täglichen Läufe vor, dass mindestens eine zusammenhängende Meile (1,6 km) ohne technische Hilfsmittel und ohne fremde Hilfe gelaufen wird. Laut Wikipedia muss auch zwischen 0 und 24 Uhr gelaufen werden (Möglicherweise bin ich noch nicht lange genau am Stück gelaufen, um eine nicht erlaubte Uhrzeit in dieser Regelung zu entdecken).
Running 2020: Von einem Streak in den nächsten
Ziemlich unamerikanisch ist zwar, dass man für Streak-Running überhaupt nichts einkaufen muss, sehr amerikanisch hingegen, dass es eine neue Abwandlung von schneller, höher weiter ist. Und die ist sowas von social media tauglich, dass Sie immer mehr Anhänger findet. Vor Weihnachten gab es die „Advent-Streaks“. Das bedeutete aber nicht etwa nur täglich zu laufen, sondern die ganz Harten setzten an jedem Dezembertag bis Weihnachten das Tagesdatum in Laufkilometer um. Nach Weihnachtsgans und Silvester-Knock-out befinden sich die „Täglich -Läufer“ nun in Ihrem "Januar-Streak" und rennen jeden Januartag ohne Pause.
Ich weiß, liebe Läufer, ihr wollt Spaß haben. Etwas machen, das Euch verändert. Etwas das Bock bringt. Eine Challenge. Das ist ok. Sportmedizinisch stellen sich mir aber, und einer muss es ja mal sagen, die Nackenhaare auf.
Warum Streaks Mist sind:
- Mit einem verantwortungsvollen, gesunden Training haben Streaks nichts zu tun. Das Immunsystem wird durch Dauerbelastungen ohne Entlastung geschwächt. Infekte können sich häufen.
- Ohne Regeneration bleiben gute Leistungsentwicklungen aus die Trainingsphysiologie wird mit Füßen getreten. Gute Wettkampfergebnisse im weiteren Saisonverlauf werden gefährdet.
- Orthopädische Überlastungen, von denen man sich unter Umständen über Monate oder Jahre nicht erholt, sind eine besondere Gefahr der Streaks. Warum sollte ich mit der schmerzenden Achillessehne nicht noch 5 km laufen, wenn ich einen wochen- unter Umständen jahrelangen Streak beende? Und je länger der Streak wird, desto größer wird diese mentale Gefahr.
- Der Streak-Tunnelblick kann dazu führen, dass man Infekte kleinredet, mit denen man sonst zu Hause geblieben wäre. Da rennt einer unter Umständen mit 38°C Fieber noch 5 km, nur um nicht aufzustecken. Das ist gemeingefährlich .
So, das musste mal raus. Ich finde Streaks sind Mist. Ich möchte aber gar nicht verhehlen, dass meine tägliche Arbeit an überlasteten, lädierten Achillessehnen und Kniegelenken meine Auffassung mitgeprägt hat. Und vielleicht weiß ich, durch allerlei orthopädische Malaisen derart gehandicapt, dass ich kaum zwei Tage am Stück laufen kann, einfach nicht wie geil es ist zu streaken. Denn, soviel muss ich zugestehen: Wenn Streaks zu 100 % blöd wären, würd‘s wohl keiner machen.
Warum „streaken“ so geil ist:
- Motivational ist es für das Durchhaltevermögen des Einsteigers ein Kracher, wenn das, womit man vor sich selbst und anderen angibt, mit jedem durchgehaltenen Tag wertvoller wird. Kein verdruckstes „Letzte Woche wollte ich 8 kg abnehmen, hab aber nur 350 Gramm geschafft“, sondern „Ich renne seit 6 Wochen jeden Tag, ohne Pause“. Das reicht, um die Kinnlade des Kollegen und vor allem die vom inneren Schweinehund runterklappen zu lassen. Die ersten 12 Wochen, die notwendig sind, um neues Verhalten zu etablieren, schafft man so leichter ohne Durchhhänger.
- Auch die Erfahreneren, die einen neuen Kick bei Ihrem liebsten Hobby suchen, ist streaken natürlich eine Abwechselung, bei der man sich selbst völlig neu kennenlernt. Der Streak ist quasi der Swingerclub des Läufers.
- Allen Influencerchen bringt so ein Streak endlich Content und ganz viel Emotionen ins Account. Das nützt uns doch allen. Gott sei Dank!
- Weil es einfach Bock macht, sich mit anderen Läufern in eine Challenge zu begeben, sich zu vernetzen, sich anzutreiben, und Dinge zu tun, die nicht vernünftig sind. Einfach, weil es geil ist.
Du willst jetzt auch streaken? Dann lies bitte, was Du beachten musst. Wir haben gelernt, dass das große Pfund des Streakens die Motivation ist. Das Dranbleiben um jeden Preis hilft vielen durch schwierige Motivationslöcher. Und diese neuen Erfahrungen macht Läufern richtig Spaß! Aber darin liegt eben auch die Gefahr. Dranbleiben, wenn Du es eigentlich nicht solltest. Wegen der Sehnen und Gelenke, oder wegen eines Infektes.
Kein Streak für Einsteiger
Wer sollte auf keinen Fall streaken? Alle, die in den letzten 2 Jahren orthopädisch verletzt waren, lassen bitte vom Streaken die Finger. Und auch wenn es motivational noch so verlockend ist: Anfänger streaken bitte auch nicht. Das endet fast zwangsläufig im orthopädischen Desaster und der Sporteinsteig endet im großen Frust. Streaken ist etwas für Läufer mit mehrjähriger Erfahrung und vor allem ohne orthopädische Probleme.
Streak-Regeln vorher festlegen
Lege vor dem Streak für Dich, Deine Familie und Deine Sportkameraden fest, wann Du aussteigen wirst. Bei Fieber wird der Streak sofort abgebrochen! Ohne Diskussion. Bei Schmerzen in den Gelenken und Sehnen, die länger als eine Woche anhalten, solltest Du mit einem lauferfahrenen Sportarzt bereden, ob der Streak fortgesetzt werden kann, oder ob er zum Schutze Deiner Gesundheit abgebrochen werden muss.
Dr. Marquardt ist begeisterter Sportarzt und Check-up-Mediziner. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf der Analyse und Therapie von komplexen Sehnenerkrankungen bei Läufern. Sein tägliche Motivation: Eine individuelle Medizin, die Ihre Performance steigert. Im Job, beim Sport und in Ihrer Freizeit. www.doktor-marquardt.de