TRAINING
Auch Erfahrene machen Fehler.
Mit den wärmeren Temperaturen steigt auch wieder die Motivation, etwas für den Körper zu tun. Geschätzte 99 Prozent der deutschen Bevölkerung wollen abspecken. Die einen mit weniger Essen, die anderen mit joggen. Ganz Verrückte nehmen sich beides vor.
Im Fitnessstudio sind keine Spinde mehr frei und Lauf-Kurse sind gefragt, als würde es nie wieder welche geben. Nun ja, und in spätestens vier Wochen sind alle wieder im Essen-Schlafen-Arbeiten-Modus.
Der eine oder andere Läufer schmunzelt gelegentlich über so viel willigen Geist und schwaches Fleisch. Denn gestählte Asketen rasen schließlich den ganzen Winter über allmorgendlich um 4:30 Uhr im Schneeregen durch die Nacht, während die Bürokollegen sich erst aufraffen, wenn die Tage wieder länger sind und bereits nach zwei Wochen wieder die Lust am Fitnessstudio verlieren.
Die sportmedizinische Sprechstunde offenbart aber noch eine andere Seite der dauerlaufenden Motivationsexperten, die am Samstag kurz vor dem Frühstück schon einen Marathon absolviert haben. Die Frage „Wieviel Athletiktraining machen Sie denn pro Woche“ wird gerne mit ausführlichsten Berichten von sportlichen Heldentaten auf dem Fußballfeld im Jahre 1982 beantwortet.
Versucht man das Gespräch sanft ins Hier und Jetzt zurückzuführen, springen sie flugs in die Zukunft: „Ich habe mir vorgenommen, künftig zweimal pro Woche ins Fitnessstudio zu gehen.“ Ah ja. Die Frage: „Und was trainieren Sie wirklich?“ spare ich aus Gründen der Gesichtswahrung inzwischen aus und schlage stattdessen vor, die Formulierung „gelegentliches Krafttraining“ in die Anamnese aufzunehmen. Denn, liebe Sportsfreunde, der Mensch ist nicht so, wie wir superoptimierten, durch Apps gesteuerten, Goji-Beeren frühstückenden Supersportler mitunter von uns und anderen erwarten.
Der Mensch träumt, der Mensch hat Wünsche, der Mensch ist emotional und unüberlegt. Er lässt sich verleiten. Er ist schwach und er scheitert. Immer wieder. Die einen, wenn die Frühjahrsmüdigkeit zuschlägt und die Laufschuhe wieder in der Ecke liegen. Die anderen im April, wenn die Umfänge in der Marathonvorbereitung wieder anziehen, man sein Wadentraining nicht gemacht hat und die Achillessehne wieder schmerzt. Die einen gehen dann zum ästhetischen Chirurgen, um das Problem der Disziplinlosigkeit zu lösen. Die anderen zum Sportarzt, der die Sehne mit Stoßwelle und Spritze wieder hinkriegen soll. Was beide eint: Sie waren zu schwach, es richtig zu machen.
Wer mir auf Facebook folgt, der weiß, dass ich mir sportlich dieses Jahr Besonderes vorgenommen habe: Ich werde vernünftig werden. Ganz entspannt trainieren. Und Berlin finishen. Dummerweise träume ich eigentlich von einem schnellen Rennen. Denn der Mensch träumt. Und ich hoffe niemand verleitet mich zum Ballern auf der Bahn. Hör‘ nicht auf zu träumen. Kämpfe für deine Ziele. Und sei nachsichtig mit dir und den anderen, wenn es mal hakt.
Alle zwei Monate behandelt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt in seiner „Sprechstunde“ im Laufen-Magazin kontroverse Themen des Laufsports, die ihm im Alltag in der eigenen Praxis in Hannover immer wieder begegnen.