PSYCHOLOGIE
Auf Sieg programmiert
Sätze wie „Second place is the first loser“ (amerikanischer Autorennfahrer, der offenbar ganz schön schnell war) oder „Ich bin gekommen, um Titel zu gewinnen“ (diverse Fußballstars und Trainer nach einem Vereinswechsel) klingen zugegebenermaßen nicht gerade nach Understatement. Aber hey, wir leben im Jahr 2017.
Da sind Superlative an der Tagesordnung. Da geht nichts mehr unter ultimativ, sensationell und atemberaubend. Egal ob beim Waschmittel, der Zeitfahrmaschine oder dem Proteinshake.
Interessanterweise sind diese besonderen Ausbrüche von Selbstbewusstsein vor einem Rennen bei Ausdauersportlern einiger maßen selten zu hören. Es kann einfach viel zu viel passieren bei einem Kurztriathlon, Marathon oder gar Ironman: Übelkeit beim Schwimmen im Salzwasser, Durchfall beim Laufen – und zack ist es vorbei mit der erhofften ultimativen Bestzeit. Wohl dem, der sich zuvor nicht breitbeinig vors Vereinsheim gestellt hat, um den Kollegen zu erklären, dass er ihnen heute mal richtig zeigen werde, wo der Hammer hängt!
Wenngleich, manchmal würde ich mir das bei der großen Sonntagmorgentiefstapelei vor dem Wettkampf zur Abwechslung fast schon wünschen. Steht nicht in jedem Motivationsbuch für Anfänger etwas über Autosuggestion? Sie wissen schon: Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen… Da mutet es doch komisch an, dass der Tag des großen Kampfes beginnt mit: „Ah nee, ich hab total schlecht geschlafen und war letzte Woche erkältet. Mal gucken, wahrscheinlich steige ich nach dem Radfahren aus.“ Stellt man sich so auf die persönliche Bestzeit ein? Nein! Was natürlich nicht heißt, dass alles ganz schlimm wird (worauf der Tiefstapler ja insgeheim hofft), aber man programmiert sich darauf, beim ersten Schmerz oder ersten Problem in die Defensive zu gehen statt zu beißen. Herzlichen Glückwunsch. Sie wählten das Mentalprogramm Niederlage. Und Sie bekamen, was Sie bestellt hatten.
Wie immer stellt sich die Frage: Gibt’s da keinen Mittelweg? Schwierig! Die Programmierung ist und bleibt entscheidend. So berichtete mir der Trainer eines von mir sportmedizinisch betreuten Amateurs, was er am Abend vor dem Ironman Hawaii sagte. „Trainer, ich habe Bock, mir morgen so richtig schön weh zu tun.“ Das tat er dann auch. Sieg! Von einem anderen Weltklasseathleten aus meiner Heimat wird berichtet, dass er sich vor dem Rennen zurückzieht, um im Auto sehr laut sehr viel Slayer zu hören. Musik also, die an Aggressivität schwer zu überbieten ist. Er ist ein Siegertyp.
Kein morgendliches Mimimimimi? Also, mal unter uns: Kurz vor dem Start, wenn auch die anderen dabeistehen, dann erzählen sie auch schon mal von ihren Erkältungen. Ich werde aber hier, in aller Öffentlichkeit, mit würdevollem Beispiel vorangehen. Ich werde nächstes Jahr nämlich nach längerer verletzungsbedingter Pause wieder Halbmarathon laufen. In meiner alten Marathon-Bestzeit-Pace von 4:03 min/km. Basta. Und nur damit Sie das Ergebnis später besser einschätzen können, teile ich – ganz nebenbei – noch folgendes mit: Mein Fuß tut manchmal ziemlich weh, ich neige sehr zu Infekten und habe insgesamt eine eher schwache Physis. Oh Mann. Ich glaube, ich probier’s mal mit Slayer vor dem Rennen …
Ihr Dr. Matthias Marquardt
MEIN TIPP:
Autosuggestion ist wichtig. Legen Sie fest, was Sie wirklich wollen. Programmieren Sie sich auf Sieg und lassen Sie schwache Gedanken gar nicht erst aufkommen!
Einmal im Monat schreibt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt im Triathlon-Magazin eine Kolumne zu kontroversen Themen des Laufsports.