LAUFSCHUH
Natural Running: Kommt jetzt der Gegentrend?
Nach dem Trend kommt – der nächste Trend. Oder schlimmer noch: der Gegentrend. Das weiß mittlerweile jedes Kind. Erleben wir das gerade auf dem Laufschuhmarkt? Mich beschleicht da so ein Gefühl.
In den letzten zehn Jahren wurde alles, was man über Laufschuhe wusste, gehörig umgekrempelt. Alles schien möglich und wurde möglich gemacht: Eine stärkere Orientierung an der natürlichen Laufbewegung, Verzicht auf Pronationsstützen, dünnere Sohlen – sogar die Sprengung (die Erhöhung der Ferse gegenüber dem Vorfuß) wurde zur variablen Größe. Die beschriebene Natural-Running-Ära war eine Zeit, in der man Laufen, Lauftechnik und Athletik besser denn je mit dem Thema Laufschuh verknüpfen konnte. Besser gesagt, hätte verknüpfen können. Denn wie so oft fiel das, was zum Lauftraining so dringend dazugehört – Krafttraining, Lauf-Abc, Koordination –, beim Freizeitsportler wieder hinten runter. Und trotz aller Mühen: Oft ging der richtige Schuh an den falschen Läufer. Patienten, die ihre 96 Kilogramm Lebendgewicht in Zehenschuhe steckten und damit ad hoc zehn Kilometer auf Asphalt liefen, um sich danach über Stressfrakturen oder Achillessehnenschmerzen zu wundern – das gab und gibt es leider wirklich.
So kühlt das Thema Natural Running im Schuhregal langsam wieder ab. Wieder nix mit der Gesundheit durch bloßes Schuhekaufen! Man darf aber hoffen, dass wenigstens etwas von diesem Trend bleibt: ein breit aufgestellter Schuhmarkt. Derzeit findet man leichte und schwere, flexible und unflexible, flache und weniger flache Schuhe. So kann man – Sachkenntnis vorausgesetzt – optimal und vor allem individuell beraten. Bliebe dies so, wäre das ein veritabler Erfolg. Dass es aber so bleibt, ist keineswegs sicher. Denn der nächste Trend klopft an die Tür. Ich konnte es kaum glauben, aber maximal gedämpfte Schuhe mit bis zu fünf Zentimeter dicken Sohlen (und interessanterweise flachen Sprengungen von um die vier Millimeter) sind das neue Thema in der Szene. Dämpfung? Hatten wir das nicht schon in den 80ern? Wurden nicht erst aufgrund der fehlenden Stabilität später Pronationsstützen in viel zu viele Schuhe gebaut? Und wird nicht zweifelsfrei die Beweglichkeit der Zehengrundgelenke durch die dicke Sohle vermindert? Eigentlich sollte man die gleichen Fehler ja nicht zweimal machen.
Wie dem auch sei: Ich kann beim Dauerlauftraining auf Zehenschuhe und maximal gedämpfte Schuhe gut verzichten. Worauf ich allerdings nicht verzichten kann, ist das eigentliche Vermächtnis von Natural Running: kurze Barfußläufe auf Rasen oder Sand, Athletik, Lauftechnik. Diese Maßnahmen haben bislang noch jedem Läufer genützt, was man von den allermeisten Schuhtrends nicht behaupten kann. Insofern gehen Sie bitte mit der Zeit: Suchen Sie den Schuh, der zu Ihnen passt. Und trainieren Sie gelegentlich ohne ihn!
Ihr Dr. Matthias Marquardt
Einmal im Monat schreibt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt im Triathlon-Magazin eine Kolumne zu kontroversen Themen des Laufsports.