TRAINING
Wissenschaftlich bewiesen?
Es scheint, als sei heute allein der Wissenschaftler berechtigt, die kleinen und großen Fragen der Sportwelt mit der zu fordernden Sicherheit und Genauigkeit zu klären. Wozu natürlich auch gehört, ob man vor einem Wettkampf lieber Toastbrot oder einen leckeren Shake aus Löwenzahn, Ingwer, Pfeffer und Chilischoten zu sich nimmt.
Oder ob der Laufschuh gedämpft sein sollte wie ein Sofa oder doch besser knallhart. Und natürlich klärt er darüber auf, ob wir Kompressionsstrümpfe im Wettkampf für neue Bestzeiten tragen sollten oder besser – nur für den Fall, dass Ersteres nicht geklappt haben sollte – nach dem Training, um „irgendwie besser zu regenerieren“.
Wissenschaft geht in diesem Bereichen manchmal erstaunlich einfach. Wenn 57 Menschen bei mehr oder weniger vollem Bewusstsein auf einem Fragebogen angekreuzt haben, dass sie sich mit einem Hologrammarmband „irgendwie besser fühlen“ und, wenn schon nicht schneller schwimmen, so doch „irgendwie besser regenerieren“, dann ist der Effekt wissenschaftlich bewiesen. Gut, den Nobelpreis wird’s dafür vorerst nicht geben, aber man kann die Welt mit diesen Armbändern beglücken, weil es bestimmt nicht lange dauert, bis die Medien die frohe Botschaft von Hologrammarmbändern verkünden und sich danach überaus willige Käufer finden. Was der Physiklehrer dazu gesagt hätte? Egal. Ganz offenbar brauchen wir also immer jemanden, der uns eine mentale Stütze für unsere Probleme anbietet. Dieses Phänomen ist nicht neu. Schon mein Großvater hatte ein Kupferarmband (quasi das Hologrammarmband der 1960erJahre). Das half gegen ... – ach ja: alles! Einziger Unterschied zu unserem modernen Voodoo: Die pseudo wissenschaftlichen Beweise waren noch nicht so wichtig. Mein Opa kaufte bei einem Wunderheiler. Und Sportler glaubten in der präwissenschaftlichen Ära einfach dem Schnellsten im Verein. Denn wenn der so ein Nasenpflaster trug (wie Jan Ullrich früher bei der Tour de France) oder sich mit „Brottrunk“ (wie Hermann Aschwer wahrscheinlich noch heute) dopte, dann musste das ja schneller machen.
Ich bin, Gott sei Dank, gegen solche Dinge vollständig immun und verhalte mich evidenzbasiert und völlig normal. Ich dusche zum Beispiel auch im Winter draußen, um mich abzuhärten. Voodoo? Quatsch. Dass das hilft, erschließt sich mit gesundem Menschenverstand. Der wissenschaftliche Beweis wird bald geliefert. Ich dachte an einen Fallbericht. Da reicht dann ein Proband.
Ihr Dr. Matthias Marquardt
Einmal im Monat schreibt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt im Triathlon-Magazin eine Kolumne zu kontroversen Themen des Laufsports.