In Würde alt werden ...

Dr. Matthias Marquardt - Blog - Fettstoffwechsel

GESELLSCHAFT

In Würde alt werden …

Sportler mittleren Alters suchen auf meine Frage nach ihrem Wettkampfziel mitunter nach Worten. Manchmal springe ich dann ein und sage mit einem Zwinkern: „Sie wollen das Rennen in Würde absolvieren?“ Dann erhalte ich als Antwort ein warmes Lächeln. 



Diese Sportler, Quereinsteiger meist, sind hervorragend zu betreuen. Sie arbeiten gut mit und sind verständig. Es ist wie Sportmedizin-Bullerbü.

 

Einzig, Bullerbü gibt es eigentlich gar nicht. Die Realität sieht anders aus: Sprechzimmer 2, 48 Jahre, Jogginganzug mit Beflockung des Triathlonvereins, Sportabzeichen-Anstecknadel in Gold. Du kommst rein und weißt, hier kommst du mit „den Wettkampf in Würde absolvieren“ nicht weit. Auf deinem Schreibtisch liegt auffordernd ein Aktenordner mit Trainingsplänen von anno tuck.

 

Es sind diese ehemaligen Leistungssportler, die manchen Weißkittel zur Weißglut bringen können: „Ihre Achillessehne schmerzt seit drei Jahren und Sie rennen immer noch den gleichen Umfang?“ „Ich bin früher 30:48 Minuten auf zehn Kilometern gelaufen. 90 Kilometer in der Woche sind Erholung.“ „Aber sie sind jetzt 50, nicht mehr 23.“ „Deshalb laufe ich GA1 ja auch in 4:15 und nicht in 4:00 Minuten pro Kilometer.“

 

Diese Sportler kriegen das Leistungsvermögen von vor 10, 20 oder 30 Jahren einfach nicht aus dem Kopf. Dabei müsste das doch ganz einfach sein. Man dankt ab, freut sich über seine bescheidenen Erfolge und mit 40, 50 oder 60 meldet man sich beim Halbmarathon an und läuft einfach mit. Einfach nur so. In Würde alt werden. So hatte ich mir das immer gedacht. Und ich bin sogar mit gutem Beispiel vorangegangen. Zu meinem 40. Geburtstag ließ ich mir ein Altherrenrennrad anpassen. Ansage an die Bikefitterin: „Mach, was du willst. Es ist egal, wie das Rad aussieht, ich will nur schmerzfrei sitzen.“ Es lebe die Vernunft. Sollen doch die 20-Jährigen mit einer Sattelüberhöhung von 20 Zentimetern an mir vorbeibrettern und Nackenschmerzen haben. Ich fahre jetzt schmerzfrei. Mit dem cw-Wert eines LKWs ...

 

Es hatte alles funktioniert mit dem „würdevoll“, bis ich diesen Startplatz für den Berlin-Marathon bekam. Seitdem: vier Paar Schuhe gekauft, neues Eiweißpulver gegoogelt, Leinsaat in der Praxis deponiert (Omega-3-Fettsäuren!), Stoßwellengerät gewartet, Trainingspläne geschrieben, Ehekrach riskiert (Frau hochschwanger, und ich wedele freudig mit dem Startplatz), morgens nüchtern den ersten 20er gerannt.

 

Jetzt verstehe ich diese Ehemaligen besser. Die sind einfach nur normal! Ich  plane gerade die Intervall-Trainingseinheiten. Ich werde mich vernünftigerweise an den Zeiten von früher orientieren. Der Rest fühlt sich schließlich auch an wie vor 20 Jahren (wenn man die ersten Schritte ins Badezimmer am Morgen vernünftigerweise einmal ausklammert). Liebe Leser, seien Sie vernünftig,  planen Sie für 2018 das Unmögliche.

 

Ihr Dr. Matthias Marquardt

 

MEIN TIPP:

Mal ehrlich: Man weiß nie, was genug ist, bevor man nicht weiß, was zu viel ist.


Einmal im Monat schreibt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt im Triathlon-Magazin eine Kolumne zu kontroversen Themen des Laufsports.

 

 www.tri-mag.de



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