Bitte lächeln?!

Dr. Matthias Marquardt - Blog - Wettkampf

WETTKAMPF

Bitte lächeln?!

Die Welt hat sich in den letzten 20 Jahren mit einer solchen  Rasanz verändert, dass ich als Homo  sapiens sapiens manchmal am liebsten zurück auf den Baum flüchten möchte. 



Dass heute ein Triathlet, der etwas auf sich hält, selbst auf der Toilette ein störungsfreies GPS-Signal benötigt, um sein Leben ordnungsgemäß zu vermessen und zu „tracken“, ist ja hinlänglich bekannt. Es wundert daher kaum, dass sich auch die Wettkampflandschaft verändert hat.

 

Ja, ja, denken Sie, der Marquardt ist in die Jahre gekommen und würde am liebsten noch immer wie in den 1990ern im Baumwoll-Finisher-T-Shirt beim örtlichen Volkslauf mit handgestoppten
 Zeiten auf der matschigen Wiese stehen und den selbst gebackenen Bienenstich der Vereinsmuttis essen. Bei Nieselregen. Und 8 Grad. Nach einer kalten Dusche. Beim Duft von Bratwurst. Und dem Dröhnen der Siegerehrung der Altersklasse über 70, in der sich immerhin zwei Starter die Ehre gaben.

 

Heute gibt’s Lasershow beim Nachtlauf statt selbst gebackenen Bienenstich. Schminktische beim Frauenlauf statt Muskelöl. Und so, wie sich die Wettkämpfe entwickelt haben, wundert natürlich auch die unterschiedliche mentale Herangehensweise nicht mehr. Mir ist als Trainer – angeblich – mal der Satz „Training muss nicht immer Spaß machen“ herausgerutscht. Und Wettkämpfe schon dreimal nicht, würde ich heute manchmal gern ergänzen. Aber ich lerne, dass die Zeiten, in denen jeder einen Wettkampf unter Angriff der autonomen Reserven im Laktatnebel beendet, vorbei zu sein scheinen.

 

Wie auch das Vereinskuchenbüfett ist die Einstellung heute nicht mehr für alle Sportler maßgeblich. Während ich selbst mit dem Babyjogger noch die 40 Minuten auf zehn Kilometer unterbieten wollte (und knapp scheiterte) sind Wettkämpfe heute Events und für viele Sportler in erster Linie Spaß und Freizeiterlebnis. „Finish with a smile“, sagt selbst Deutschlands Triathlon-Trainerin Manuela Dierkes, die dummerweise trotz Lächelns 7 Minuten schneller auf der Ironman-Distanz ist als ich (Ich hatte Infekt, Trainingsrückstand, Ernährungsprobleme, Raddefekt, Schlaf- und Elektrolytstörungen, sonst wäre ich schneller gewesen. Ohne zu lächeln!).

 

Natürlich ist Manuelas Motto richtig, begeistern sich doch immer mehr Menschen für unseren geliebten Dreikampf. Dass nun aber durch die Hahner-Zwillinge selbst der olympische  Marathon lächelnd und händchenhaltend gefinisht wurde, geht mir persönlich allerdings zu weit. Im Freizeitsport möge jeder sein Wettkampfgefühl suchen und finden. Laktatnebel oder Event? Oder beides? Egal, jeder wie er meint. Aber wenn Marketing, PR und „Spaß“ jetzt auch in olympische Ausdauerwettkämpfe einziehen und mehr Berichterstattung nach sich ziehen als eine kämpfende, besser platzierte Anja Scherl, dann hätte ich lieber wieder Bratwurst und Bienenstich auf der Wiese.

 

Ich weiß, die Diskussion spaltet. Und wie finden wir jetzt wieder zusammen? Vielleicht mögen es die „harten Hunde“ einmal mit dem Lächeln versuchen und die Spaßsportler mit einem richtigen Vollgasrennen am Rand der Bewusstlosigkeit. Wir sehen uns dann alle im Ziel wieder – und suchen den Kuchen!

 

Ihr Dr. Matthias Marquardt

 

MEIN TIPP:

Event oder Bestzeit? Versuchen Sie doch beides einmal. Vielleicht finden Sie ein tolles Event zum Genießen, oder Sie trauen sich beim nächsten Rennen, mal gnadenlos Ihre Bestzeit zu attackieren!


Einmal im Monat schreibt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt im Triathlon-Magazin eine Kolumne zu kontroversen Themen des Laufsports.

 

 www.tri-mag.de



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Marquardts Meinung -- Bitte lächeln?!
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